Das Kartographierte Wallmapu: Kartographie als Werkzeug der Macht und des Widerstands

Gerichtsdokumente, Juzgado de indios, AGAI Temuco, Photo: Aldir Polymeris

Koloniale Kartographie

"Landkarten sind eine Form des  Wissens, und deshalb eine Form der Macht, in dem Mass, in dem sie ein Mittel
der Kontrolle über einen bestimmten geografischen Raum darstellen [i]."


Die ersten Landkarten von Chile wurden während der Kolonialzeit  erstellt. Sie waren nicht nur eine Hilfe, um sich im Terrain zurechzufinden. Sie stellten auch notwendige Angaben zur Verfügung, die der territorialen Expansion dienten: Wissen über Berge und Flüsse, Häfen, Ressourcen und Bodenschätze.

Im Jahr 1768 fertigte Ambrosio O'Higgins eine Karte des Reyno de Chile an, auf der  die wichtigsten Niederlassungen, Wege, Flüsse, Häfen, Andenpässe, Vulkane, Erzvorkommen und indigenen Siedlungen verzeichnet waren. Auffallend an dieser Karte ist ihre horizontale Ausrichtung, im Gegensatz zu den späteren vertikalen Darstellungen.

“Reyno de Chile” (Ausschnitt) von Ambrosio O'Higgins (1768), Quelle: Sammlung des Archivo Nacional de Chile

Im autonomen Territorum der Mapuche, das sich vom Fluss Bío-Bío bis Valdivia erstreckte – der  Bío-Bío war nach dem Generalaufstand der Mapuche, der 1598 in Curalaba begann, zum Grenzfluss erklärt worden –  finden sich auf der Karte von Ambrosio O'Higgins Bezeichnungen wie "misiones de los R.P. Franciscanos donde los Pehuenches" und "los Indios Araucanos". Den Grenzen entlang sind Befestigungen eingezeichnet, so z.B. die Befestigungsanlagen von San Pedro, Santa Juana und Nacimiento. Das Militär hielt mit diesen Befestigungen die Trennung zwischen der spanischen Kolonialwelt und der Welt der Mapuche aufrecht. Die gegenseitige Beziehung "schwankte zwischen der Konfrontation und dem Zusammenleben, wobei es zu kommerziellen und zwischenmenschlichen Beziehungen und Verbindungen kam"[ii].

Auf der Landkarte von Chile von Copiapó bis Chiloé, die im Jahr 1845 vom französischen Wissenschaftler Claudio Gay gezeichnet wurde, erscheint das Gebiet der Mapuche zwischen dem Bío-Bío-Fluss und Valdivia als praktisch weisse Fläche. Dieses unabhängige Territorium wurde als "Anomalie" im chilenischen Staat angesehen.

“Mapa de Chile” (Ausschnitt) von Claudio Gay (1845), Quelle: Sammlung des Archivo Nacional de Chile

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine intensive Kolonisierung des bis dahin relativ autonomen Gebiets der Mapuche. Der chilenische Staat besetzte die Region, um die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen zu vergrössern und um die "Diskontinuität" des nationalen Territoriums ein für alle Mal zu beenden. Die Besetzung dieses geografischen Raums war "ein systematischer Prozess, für den der chilenische Staat gezielt Ressourcen, Intelligenz, Willen und Tatkraft einsetzte"[iii].

Die Wege, welche die Truppen bei der militärischen Besetzung des indigenen Territoriums  nahmen, wurden kartographiert und dokumentiert, z.B. im "Croquis del valle central de la Araucanía con los caminos seguidos por las divisiones que lo han cruzado" von Tirso Rodríguez im Jahr 1869. Chilenische, deutsche und Schweizer Siedler:innen bewohnten und bebauten das Land der Mapuche. Um ihre Verbindung zum Rest des Landes zu gewährleisten,  wurden Eisenbahnlinien geplant. So erstellten Federico Schert und Victorino Aurelio Lastarria im Jahr 1886 eine topografische Karte für die Linie von Victoria nach Osorno und Valdivia [iv].

Der Fiskus kaufte Ländereien und stellte sie den Siedler:innen zur Verfügung.  Die Verteilung wurde genau kartographiert, so z.B. im "Plano de la subdivisión de la colonia de Traiguén, subdividido en 23 hijuelas" aus dem Jahr 1881.


Die Besetzung ihres Landes durch die Siedler:innen liess den Mapuche nur noch einen kleinen Teil ihres ursprünglichen Gebietes. Der grösste Teil davon wurde von Privaten oder vom Staat usurpiert. Der kleine Rest wurde parzelliert. Die Mapuche erhielten von der Comisión Radicadora de Indígenas Papiere, Títulos de Merced genannt, in denen die Parzellen, auf denen ihnen zu leben gestattet war, eingetragen und kartographiert waren. Dies aufgrund des Gesetzes vom 04.12.1886 [v]. 

Heute werden die Títulos de Merced aufbewahrt im Archivo General de Asuntos Indígenas der CONADI in Temuco. Sie können online eingesehen werden [vi]. Die Comisión Verdad Histórica y Nuevo Trato con los Pueblos Indígenas studierte im Jahr 2018 413 Títulos de Merced und fand dabei, dass die Mapuche mehr als 31 % des Landes verloren hatten, das ihnen zwischen 1884 und 1923 zugesprochen worden war, nach der sogenannten Befriedung, der Pacificación de la Araucanía [vii]. 

Plano de la Colonia de Traiguen” (1881), Quelle: Mapoteca Archivo Nacional

Kartographie als Werkzeug des Widerstands

 "... die Notwendigkeit anerkennen, die Orte, auf welchen im spirituellen Sinn die Kosmovision der
Mapuche basiert, darzustellen, in einem Prozess, den wir als ein Dekolonisieren der Landkarten
verstehen ...[viii]”


In der Region des Wallmapu sind seit einiger Zeit viele Mapuche- Gemeinden daran, ihr Land zurückzufordern. Sie geraten dabei in Konflikt mit dem Staat, den Grossgrundbesitzern und den Forstkonzernen etc. Doch in einigen Fällen gaben ihnen sogar die Gerichte recht und haben –aufgrund von den in  Títulos de Merced kartographierten Grenzen – Klagen auf Rückgabe von Land an die Mapuche gutgeheissen, so z.B. im Jahr 2018 im Fall des Unternehmens Forestal Celco S.A., in Besitz der Angelini-Gruppe, welches 97 Hektaren Land an die Comunidad Indígena Ignacio Huilipán, in der Gemeinde Contulmo, zurückgeben musste [ix].

Doch es geht den Mapuche nicht nur um Land im Sinn von Grundbesitz, sondern auch um die spirituellen Dimensionen der Erde. Flüsse, Quellen, Berge sind für die Mapuche lebendige und fühlende Wesen.

Zwischen 2013 und 2018 verwendeten die Lof (Gemeinden) Quilape López, Benancio Huenchumán, Liempi Colipi und Pancho Curamil die Methode der gemeinschaftlichen kulturellen Kartographie,  welche Miguel Melin Pehuen und Pablo Mansilla Quinones entwickelt hatten. Im Verlauf des Projekts wurden kulturell wichtige Orte kartographiert, z.B. die Orte der ngenko, der Geister des Wassers, oder Gebiete, in denen Heilpflanzen gefunden werden [x]. 

Im Jahr 2018 verhinderte die Alianza Territorial Mapuche (ATM)  und die Lof der Region  Curacautín, im Speziellen der Lof Radalko mit seinem Longko Alberto Curamil Millanao, durch ihre Verteidigung des Flusses Cautín den Bau der Wasserkraftwerke Alto Cautín und Doña Alicia [xi]. Mapuche-Organisationen und Umweltschutzgruppen hatten sich zusammengetan, um ixofill mongen zu schützen, alle Arten des Lebens. Für den Widerstand gegen die Wasserkraftwerke war die Arbeit der gemeinschaftlichen kulturellen Kartographie auf Basis des rakiduam, des traditionellen Wissens der Mapuche, grundlegend. Die Karten, welche in trawüm, gemeinsamen Treffen, erarbeitet wurden, konzentrieren sich auf die Bedeutung der Landschaft für die Mapuche. Auf diese Art wird das kollektive kulturelle Gedächtnis bewahrt, das in Bezug steht zum Land, zur Erde, und  die Karten des Gebietes erhalten einen Sinn zurück, den ihnen der kolonialistische und ökonomistische Umgang damit geraubt hatte [xii].



  • [i] Cartografía histórica de Chile, 1778-1929. Recopilación y selección Jaime Rosenblit B. y Carolina Sanhueza B.; editor general Rafael Sagredo Baeza. Santiago de Chile: CChC, 2010,  p.XI

  • [ii] Sergio Villalobos: Vida fronteriza en la Araucanía: el mito de la Guerra de Arauco. Santiago de Chile: Editorial Andrés Bello, 1995

  • [iii] Jaime Rosenblitt: Al borde del imperio, al margen de la nación: cartografía de la ocupación de la fr frontera mapuche, 1770-1890. En: R. Sagredo (ed.): Santiago de Chile: Universidad Adolfo Ibáñez, 2015, p. 480

  • [iv] Cartografía histórica de Chile, 1778-1929. Recopilación y selección Jaime Rosenblit B. y Carolina Sanhueza B.; editor general Rafael Sagredo Baeza. Santiago de Chile: CChC, 2010

  • [v] Raul Jose Molina Otarola: Geografías mapuches: territorios, política y desafíos en tiempos de cambio. REV. GEO. SUR 3(1): 15-36 (2018)

  • [vi] http://www.conadi.gob.cl/noticias/en-visperas-de-wetxipantu-conadi-abre-acceso-digital-a-titulos-de-tierras-entregados-a-mapuche-p (consultado el 02/11/2020)

  • [vii] Pablo Mansilla Q. & Miguel Melin Pehuen: Mapuche Cartography: Defending Ixofillmogen. In: Radical Cartographies: Participatory mapmaking from Latin America, ed. by B. Austin: Univ. of- Texas, 2020. Pp. 81-96

  • [viii] Miguel Melin, Pablo Mansilla y Manuela Royo: MAPU CHILLKANTUKUN ZUGU: Descolonizando el Mapa del Wallmapu, Construyendo Cartografía Cultural en Territorio Mapuche. Temuco: Pu Lof Editories ltda, [2017], p. 8

  • [ix] https://www.infogate.cl/2018/10/02/justicia-reconoce-titulo-de-merced-y-ordena-a-forestal-del-grupo-angelini-a-restituir-tierras-a-comunidad-mapuche/ (consultado el 31/10/2020)

  • [x] Pablo Mansilla Q. & Miguel Melin Pehuen: Mapuche Cartography: Defending Ixofillmogen. In: Radical Cartographies: Participatory mapmaking from Latin America, ed. by B. Austin: Univ. of- Texas, 2020. Pp. 81-96

  • [xi] https://es.mongabay.com/2020/01/chile-alberto-curamil-entrevista-lonko-mapuche/

  • [xii] Miguel Melin, Pablo Mansilla y Manuela Royo: MAPU CHILLKANTUKUN ZUGU: Descolonizando el Mapa del Wallmapu, Construyendo Cartografía Cultural en Territorio Mapuche. Temuco: Pu Lof Editories ltda, [2017]

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